Erst in der jüngeren Vergangenheit haben Bibliotheksfunde deutlich gemacht, dass JS Bach der Musik seines Gothaer Kollegen Stölzel einen hohen Stellenwert einräumte. Doch was genau machte Stölzels Werk so interessant für Bach und auch einige seiner Zeitgenossen? Wie beim Text der berühmten Brockes-Passion, der nicht nur von Telemann und Händel, sondern später auch von Stölzel in Musik gesetzt wurde, handelt es sich nicht um einen durch Arien erweiterten Bibeltext, sondern um eine freie Nachdichtung des Passionsgeschehens. Während der Evangelist gleich einem Live-Berichterstatter die letzten Stunden Jesu dokumentiert, agieren die »Gläubige Seele« und die »Christliche Kirche« mit der Perspektive des Wissens um den Ausgang der Geschichte. Das Oratorium ist in 22 sogenannte »Betrachtungen« unterteilt, die die unterschiedlichen Sichtweisen der drei allegorischen Figuren auf einzelne Momente der Handlung konzentrieren. Gewiss ist, dass diese eindrückliche Musik bei jedem Hörer ganz individuell nachwirken wird – ähnlich wie auch bei Johann Sebastian Bach, der etliche Jahre später noch einmal die Manuskripte aus seiner Notenbibliothek zog und die Arie der 13. Betrachtung, »Dein Kreuz, o Bräutigam meiner Seelen«, als Vorlage für seine eigene Arie »Bekennen will ich seinen Namen«, BWV 200, verwendete.
Rezensionen:
»Mit dieser lebendigen Darstellung einer 300 Jahre alten Passionsmusik, die nicht wie Bachs Passionen seit dem frühen 19. Jahrhundert im musikalischen Gedächtnis der Generationen in jeweils unterschiedlichen Formen wieder lebendig wurden, haben Hermann Max und seine Mitstreiter dem Verständnis geistlicher Musik des frühen 18. Jahrhunderts einen Dienst erwiesen, der die Zustimmung aller Liebhaber der Musik der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ans Herz gelegt werden muss! Deutschlandfunk Kultur liefert als coproduzierender Sender ein exzellentes Klangbild.«
klassik-heute.com 06/2021