In jüngerer Zeit tauchte in der Bibliothek des Königlichen Konservatoriums zu Brüssel eine unbekannte zeitgenössische Partitur-Abschrift der Markus-Passion auf, die fälschlicherweise dem Magdeburger Musikdirektor und Komponisten Johann Heinrich Rolle zugewiesen worden war. Auf Basis der neu identifizierten Kopistenhandschrift, steht heute nun eine weitgehend originale Fassung von Telemanns Markuspassion 1759 zur Verfügung, auf der die vorliegende Aufnahme basiert. In den Evangelientext wurden neu gedichtete „poetische Betrachtungen“ eingefügt.. Der unbekannte, theologisch gebildete Dichter dieser betrachtenden Arien und Accompagnati, der in Absprache mit dem Komponisten zugleich die Auswahl der Kirchenlieder und die Gesamtanlage des Librettos bestimmte, verband die geistliche Sendung des Textes mit einer ausgeklügelten Affektdramaturgie. Die unterschiedlichen Affektbereiche, denen der Komponist folgt, orientieren sich an den jeweils in den Rezitativen geschilderten Situationen. Dabei können innerhalb einer Arie durchaus harte Affektkontraste gegeneinander stehen. Und noch offensichtlicher als in den Arien wird Telemanns dramatische Schilderungskunst in seinen Accompagnati. Bemerkenswerterweise wird in der neu entdeckten Quelle für den Evangelisten nicht der sonst übliche Tenor verlangt, sondern ein Altus. Dies ist kein Einzelfall, auch in den anderen zwischen 1758 und 1766 enstandenen Passionen setzt Telemann für den Testo andere Stimmen als den Tenor ein. Die Gründe für diese Abweichung sind ungewiss. Bekannt ist lediglich, daß Telemann in dieser Zeit gewisse Probleme mit seinem neuen Tenoristen Wilhelm Jacob Credius (1724–1778) hatte. Allerdings ist auch von Telemanns Amtsnachfolger Carl Philipp Emanuel Bach bekannt, dass er den Evangelistenpart unterschiedlichen Stimmlagen zuordnete. Hermann Max hat sich bei der vorliegenden Aufnahme dafür entschieden, die Altpartie eine Oktave abwärts in die Baritonlage zu transponieren, so wie dies schon Georg Michael Telemann in seiner Werkfassung getan hatte.
Rezensionen
»Sehr schöne Telemann-Passion: Sie zeigt den Komponisten im Vollbesitz seiner gestaltenden Kraft. Telemann war ohne Zweifel ein ganz und gar außergewöhnlicher Könner. Eine schöne Gelegenheit, wieder einmal den Versuch zu wagen, nicht alles an Bach messen zu wollen, was in dessen zeitlichem Umfeld musikalisch geschah, und sich stattdessen künstlerisch überzeugen zu lassen.«
klassik.com 04/2020
»Hermann Max beschäftigt sich seit weit mehr als 30 Jahren intensiv mit dem Werk von Telemann. Auch diese neueste Einspielung der Markus-Passion 1759 zeugt von seiner tiefen Telemann-Erfahrung. Die Instrumentalfarben sind fein abschattiert, die dramatischen Kontraste hervorragend herausgearbeitet, die Tempi immer spannungsvoll. Die Rheinische Kantorei und das Kleine Konzert sind bestens aufeinander abgestimmt und agieren als harmonische Einheit. Im ebenfalls sehr gut besetzten Solistenquintett ragt Georg Poplutz mit wunderbar klarer und wortverständlicher Stimme als Evangelist und Sänger der Tenorarien hervor. Fazit: Wieder eine überzeugende Alternative zu den Bach-Passionen in einer anrührenden Interpretation.«
rbb-onlinde.de 04/2020